Juni 25
Ich und die Welt(en)
Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der es sich 'nicht gehörte' Sätze mit „ich“ zu beginnen. Als Mädchen sollte ich mich sowieso 'schicklich' benehmen. Anstand zu haben bzw. anständig zu sein, hatte Bedeutung und war erstrebenswert. Werden diese Worte eigentlich noch benutzt? Von meinem Vater lernte ich, dass, wenn man lügt, man ein gutes Gedächtnis braucht, also sollte man besser nicht lügen. Allerdings stand uns damals auch nicht der Begriff 'Narrativ' zur Verfügung.
Heute habe ich des Morgens oft das Gefühl, in einer mir fremden Welt aufzuwachen, einer Welt der Inszenierung und Täuschung, der Lüge und des Weglassens. Anstand zu zeigen ist in der Weltpolitik dem geopolitischen Machtstreben geopfert worden. Im Inneren des Landes ist er bedeutungslos, wenn man Andersdenkende diffamiert und kriminalisiert und ich aufpassen muss, welche Worte ich benutze, was ich überhaupt sagen darf.
Wer den Krieg nach Russland tragen will, muss auch Krieg nach innen führen.